Postdoktorand Constantin Traub hat von Februar bis März 2025 einen vierwöchigen Forschungsaufenthalt an der Universität Manchester bei Dr. Nicholas H. Crisp (https://www.linkedin.com/in/nhcrisp/) als Teil der „Space Systems Research Group“ (https://uk.linkedin.com/company/space-systems-engineering) absolviert.
Zusammen arbeiteten die beiden Forscher daran, tiefergehende Einblicke in das dynamische Verhalten von Raumfahrzeugen im sehr niedrigen Erdorbit („Very Low Earth Orbit“, VLEO, ca. 200 km bis 450 km Höhe) zu erlangen, welche mit atmosphärenatmenden elektrischen Antrieben („Atmosphere-Breathing Electric Propulsion“, ABEP) ausgestattet sind. Dieser Bereich verspricht enorme Vorteile sowohl für kommerzielle als auch wissenschaftliche Anwendungen, seine Erschließung ist jedoch mit enormen technologischen Herausforderungen verbunden.
Möglich gemacht wurde der Aufenthalt durch ein „Early Career Outgoing-Fellowship“ für C. Traub im Rahmen des „Global Glimpse Förderprogramms“ der Universität Stuttgart (https://www.beschaeftigte.uni-stuttgart.de/weiterbildung/auslandsaufenthalt/global-glimpse/). Dieses dient der fachlichen und institutionellen Vernetzung, Entwicklung wissenschaftlicher Projekte und Publikationen mit internationalem Bezug und Partnern und hat somit eine ideale Fördermöglichkeit für diesen Aufenthalt geboten.
Beide Institutionen kooperieren bereits seit einiger Zeit in diesem Bereich und wollen langfristig diese Zusammenarbeit weiter intensivieren.
Hintergrund der Zusammenarbeit
Die Universität Stuttgart und die Universität Manchester arbeiteten bereits intensiv im Rahmen des Projekts „Disruptive Technologies for Very Low Earth Orbit Platforms“ (DISCOVERER) zusammen, das durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union (2017-2022) finanziert wurde und die bisher größte konzentrierte Forschungsanstrengung zu VLEO-Satellitenkonzepten darstellte, die sich auf Erdbeobachtungsmissionen konzentrierte. Das Projekt wurde von Dr. Peter Roberts (https://uk.linkedin.com/in/peterceroberts) von der Universität Manchester geleitet. Diese gemeinsame Projektarbeit hat zu einer großen Anzahl von qualitativ hochwertigen gemeinsamen Publikationen geführt.
In 2023 bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) den Sonderforschungsbereich (SFB) 1667 „Advancing Technologies of Very Low Altitude Satellites“ (ATLAS) (https://www.sfb1667.uni-stuttgart.de/), der sich mit den grundlegenden wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Herausforderungen befasst, die mit der Erreichbarkeit des VLEO verbunden sind. Zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Forschungsinstitutionen und aufgrund seiner einzigartigen Erfahrung auf diesem Gebiet dient Dr. Peter Roberts dafür als einer der wissenschaftlichen Berater („Scientific Advisor“) und ebenfalls als Co-Vorsitzender des „2nd International Symposium on Very Low Earth Orbit Missions and Technologies“ (https://www.sfb1667.uni-stuttgart.de/news/2nd-VLEO-Symposium-2025-concludes/), einer von ATLAS gesponserten und organisierten Folgeveranstaltung des ersten VLEO-Symposiums, das vom DISCOVERER-Team im Juni 2021 veranstaltet wurde.
Für Dr. Crisp und Dr. Traub ist von großem Interesse, die Forschungsgemeinschaft in diesem Bereich zu fördern. Aus diesem Grund organisierte Dr. Crisp auf dem International Astronautical Congress (IAC) 2024 in Mailand eine spezielle Session zu VLEO, an der Dr. Traub als einer der Hauptredner teilnahm. Eine ähnliche Session wurde auch im Rahmen des 2nd VLEO Symposiums abgehalten, welche sehr großen Anklang fand. Für den International Astronautical Congress 2025 (https://www.iac2025.org/) im September in Sydney, Australien, wurde bereits ein entsprechender Antrag gestellt, um den eingeleiteten Prozess langfristig voranzutreiben.
Aktuelle Forschung
ABEP ist eine Schlüsseltechnologie für die Ermöglichung einer nachhaltigen Nutzung des VLEO Bereichs. Verschiedene Forschungsgruppen weltweit arbeiten an der Entwicklung dieser Systeme und ihrer Schlüsselkomponenten. Neben diesen praktischen Aktivitäten erfordert die erfolgreiche Realisierung dieser Technologie aber auch vertiefte theoretische Analysen, die das dynamische Zusammenspiel der einzelnen Komponenten abbilden. Bislang fehlen jedoch derartige Studien weitgehend in der Literatur. Die Ergebnisse des Aufenthalts sollen dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.
Wenngleich ein ABEP System in der Theorie keinerlei Bedarf an Treibstoffnachschub hat, so ist dessen Bedarf an Leistung enorm. Dies stellt in der Regel den limitierenden Faktor für mögliche Bahnmanöver oder die niedrigste erzielbare Flughöhe dar. Für Satelliten im VLEO wird die Leistung für gewöhnlich über Solarzellen realisiert und skaliert somit mit der Fläche die zur Sonne ausgerichtet ist. Selbst bei bestmöglicher Orientierung dieser Solarzellen führen größere Solarzellenflächen zwangsläufig zu einem höheren aerodynamischen Widerstand, welcher wiederum vom Antriebssystem kompensiert werden muss. Dieser ist aufgrund sehr komplexer und vielfältiger Wechselwirkungen dynamisch variierend. Um langfristig die Auswirkungen unterschiedlicher Parameter und Konzepte auf die resultierende optimale Manöverstrategie analysieren zu können, bedarf es einer effizienten Simulationsinfrastruktur welche diese dynamischen Zusammenhänge adäquat abbildet. Im Rahmen des Forschungsaufenthalts wurde dafür der Grundstein gelegt.
Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen stellt diese Kooperation die optimale Voraussetzung dar. Seitens IRS besteht jahrelange Erfahrung in der ABEP-Triebwerksentwicklung (Arbeitsgruppe von Dr. Herdrich (https://www.irs.uni-stuttgart.de/forschung/raumtransporttechnologie/raumfahrtantriebe/)) sowie der dynamischen Modellierung komplexer Systeme, welche in das Vorhaben eingebracht werden konnte. Umgekehrt hat die Universität Manchester durch das ADBSat-Tool (https://github.com/nhcrisp/ADBSat) ein weltweit anerkanntes und genutztes Werkzeug für die effiziente dynamische Bestimmung von aerodynamischen Koeffizienten von Satelliten im VLEO beigetragen und Erfahrung mit der Auswirkung von ABEP Systemen auf das Design und die Auslegung von Raumfahrzeugen.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen im Rahmen des International Astronautical Congress 2025 vorgestellt werden.
Leben Abseits der Arbeit
Neben dem Erlangen wissenschaftlicher Erkenntnisse dient ein Forschungsaufenthalt auch dazu, die Menschen und Kultur des Gastgeberlandes kennenzulernen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Manchester hat sich diesbezüglich wirklich als ausgesprochen offen und freundlich erwiesen. Manchester ist eine pulsierende Stadt, bekannt für ihre industrielle Vergangenheit, ihre legendäre Musikszene (u. a. Oasis, The Smiths) und ihre weltberühmten Fußballclubs Manchester United und Manchester City. Heute ist sie ein modernes Kultur- und Wirtschaftszentrum mit beeindruckender Architektur, kreativen Vierteln und einer lebendigen Kneipen- und Kunstszene. Der Campus ist eine Mischung aus historischen Gebäuden und modernen Einrichtungen, die sich über die Oxford Road erstrecken – eine der belebtesten Universitätsstraßen Europas. Hier finden sich beeindruckende gotische Bauten wie das John Rylands Library sowie hochmoderne Forschungszentren. Der Campus bietet zahlreiche Grünflächen, Bibliotheken, Cafés und Studenteneinrichtungen, die eine lebendige akademische Atmosphäre schaffen. Durch die zentrale Lage ist die Innenstadt mit ihren Geschäften, Museen und Bars leicht erreichbar. Außerdem befindet sich das „Manchester Aquatics Centre“ keine Gehminute vom „Nancy Rothwell Building“ entfernt, in dem die Gruppe sitzt. Somit konnte vor der Arbeit regelmäßig Sport betrieben werden. Zusätzlich ging es zusammen mit Dr. Crisp mittwochs zum Lauftreff „Manchester Road Runners“.
Besondere Highlights stellten ein Besuch der Englischen Meisterschaften im Bahnradfahren, Heimspiele von Manchester City im Etihad Stadion, von Manchester United im Old Trafford sowie ein Ausflug nach Liverpool dar, welche sicherlich noch sehr lange in Erinnerung bleiben werden.
Persönliches Fazit
Der Alltag eines Postdoktorands ist oftmals dermaßen vom anstehenden Tagesgeschäft dominiert, dass es manchmal schwer fällt das übergeordnete Forschungsziel im Blick zu behalten bzw. zu verfolgen. Durch den Wechsel der Arbeitsumgebung und die Vielzahl an neuen Eindrücken hilft ein solcher Forschungsaufenthalt dabei, sich neu zu fokussieren, zu motivieren und sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auch wenn es einen nicht unerheblichen Aufwand an Vor- und Nachbereitung mit sich führt, so stellt es doch eine einzigartige Möglichkeit zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung dar, welche die Kosten (sowohl in Zeit als auch in Geld) weitaus überwiegt. Insgesamt war es wirklich eine tolle Erfahrung für mich und ich hoffe, dies zu gegebener Zeit wiederholen zu können.
Die Universität Manchester und ins besondere Dr. Nicholas Crisp haben mich sehr offen und herzlich empfangen und aufgenommen, wofür ich Ihnen wirklich sehr dankbar bin. Ich würde mir sehr einen Gegenbesuch in absehbarer Zeit wünschen. Außerdem freue ich mich auf die weitere gemeinsame Zusammenarbeit!
Ebenfalls bin ich meinem Professor Stefanos Fasoulas dankbar, welcher diesen Aufenthalt von Anfang an unterstützt und gefördert hat. Zu guter Letzt möchte ich dem Global Glimpse Förderprogramm der Universität Stuttgart für die Förderung danken, ohne welche der Aufenthalt nicht realisierbar gewesen wäre.