Numerische Modellierung und Simulation

Institut für Raumfahrtsysteme

Die numerische Modellierung und Simulation am IRS beschäftigt sich mit den Eigenschaften und Auswirkungen von Strömungen bei Wiedereintrittsprozessen. Eine Besonderheit des Instituts ist der Simulationscode "PICLas" mit der ausgegründeten Firma "boltzplatz".

Eintrittsmissionen in die Atmosphäre von Planeten sowie anderen Himmelskörpern stellen zukünftige Ziele in der Raumfahrt dar, die nur mit verbessertem Wissen um das Verhalten, die Eigenschaften und die Auswirkungen der Strömung um ein Raumfahrzeug sicher durchgeführt werden können. Des Weiteren gewinnt beim Design von fortschrittlichen Raumfahrttriebwerken ein fundiertes Wissen über das Verhalten des Abgasstrahls der Triebwerke an Bedeutung. Mit numerischen Verfahren können Strömungen simuliert werden, bei denen in aller Regel die Möglichkeiten, geeignete Experimente durchzuführen, stark eingeschränkt oder mit hohen Kosten verbunden sind. Daher kommt den numerischen Untersuchungsmethoden eine immer stärker werdende Bedeutung zu.

Simulationen vom DLR-REX-Free Flyer
Simulationen vom DLR-REX-Free Flyer

Einen Schwerpunkt der Arbeitsgruppe Numerische Modellierung und Simulation stellt dabei die Modellierung von Nicht-Gleichgewichtseffekten bei Gasen und Plasmen dar. Diese treten immer dann auf, wenn es zu großen lokalen Unterschieden der Umgebungsbedingungen kommt, zum Beispiel bei großen Temperaturunterschieden. Beispiele aus der Raumfahrt wurden mit Eintrittsmissionen oder Raumfahrtantrieben bereits genannt. Allerdings ist das Verständnis dieser Effekte auch in anderen industriellen Bereichen zunehmend wichtig. Das Spektrum reicht dabei von Micro- und Nanotechnologie inklusive plasmabasierter Beschichtungsprozesse zur Nanotechnologieherstellung selbst bis hin zur Next-Generation-Lithografie.

Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) und dem Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) wurde „PICLas“ als flexibles Simulationswerkzeug zur Berechnung dreidimensionaler Gas- und Plasmaströmungen entwickelt. Mittlerweile konnte sich die Firma „boltzplatz“ als eine Universitätsausgründung ehemaliger Mitarbeiter der Numerikabteilungen von IRS und IAG auf Basis von PICLas etablieren. Dies sorgt für einen direkten Austausch zwischen Industrie und Universität sowie eine immer weiter wachsende Anwenderzahl von PICLas auch außerhalb universitärer Einrichtungen. Mehr Informationen und Kontaktmöglichkeiten sind auf der boltzplatz-Webseite zu finden.

Simulation eines atmosphärischen Wiedereintritts am Titan
Simulation eines atmosphärischen Wiedereintritts am Titan

PICLas koppelt verschiedene Feld- und Partikellöser, um in verschiedenen Gas- und Plasmaregimes numerisch effiziente Lösungsverfahren bereitstellen zu können. Historisch gesehen startete PICLas als Tool zur Simulation verdünnter Gase und Plasmen, weshalb die zwei größten Module in PICLas derzeit Particle-In-Cell (PIC) und Direct Simulation Monte Carlo (DSMC) sind. Während das PIC-Modul die elektromagnetischen Wechselwirkungen von Partikeln in Plasmen modelliert, bildet das DSMC-Modul die Kollisionen und die dabei ablaufenden chemischen Reaktionen in neutralen Strömungen sowie in Plasmaströmungen nach. Beide Methoden werden schon seit vielen Jahren in einem weiten Feld numerischer Untersuchungen eingesetzt und am IRS weiterentwickelt und optimiert.

Eine andere Entwicklung von PICLas beschäftigt sich mit der numerischen Untersuchung von Strömungen und Plasmen im Rahmen von Multiskalenphänomenen. Dies beinhaltet z.B. extrem große Dichtegradienten, wie sie in Düsenexpansionen vorkommen. Ein anderes Beispiel sind große zeitliche Gradienten von den in der Strömung vorkommenden physikalischen Effekten. So können die Zeitskala der Plasmaoszillation und die Zeitskalen der Advektion von Ionen, die in elektrischen Raumfahrtantrieben relevant sind, mehrere Größenordnungen auseinanderliegen. Hierzu werden verschiedene Partikelkontinuumsmethoden wie die Bhatnagar-Gross-Krook- (BGK) oder die Fokker-Planck-Methode (FP) mit PIC und DSMC gekoppelt. Zusätzlich werden verschiedene implizite Verfahren entwickelt, um die Effektivität der Methoden weiter zu erhöhen.
Des Weiteren spielen bei einigen der zu untersuchenden Strömungen Strahlungseffekte eine bedeutende Rolle. Daher beschäftigt sich die Arbeitsgruppe gesondert auch mit der Weiterentwicklung von Strahlungslösern.

Verschiedene Anwendungen simuliert mit PICLas

Aktuelle Projekte

Ziel ist die Entwicklung partikelbasierter Multiskalenmethoden für thermo-chemische Nichtgleichgewichtsgas- und Plasmaströmungen, die erstmals die Simulation einer Vielzahl von High-Tech-Anwendungen ermöglichen.

 

MEDUSA

DROPIT ist ein Graduiertenkolleg, das sich mit der Untersuchung von Tröpfcheninteraktionsphänomenen befasst. Ziel ist es, zu verstehen, wie mikroskalige Transportprozesse die makroskopischen Strömungseigenschaften beeinflussen.

 

GRK 2160/2: DROPIT

Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1667 „ATLAS - Fortschrittliche Technologien für Satelliten in sehr geringer Höhe“ befasst sich mit den wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen für die Erschließung von sehr niedrigen Erdumlaufbahnen (VLEO, etwa 200 km bis 450 km Höhe). Die Numerik-Gruppe entwickelt innerhalb ATLAS ein detaillierteres Gas-Oberflächen-Wechselwirkungsmodell.

 

ATLAS

Numerische Methoden

Stochastische Partikelverfahren sind der Schwerpunkt der Numerikgruppe am IRS. Sie bieten vor allem bei höherdimensionalen Problemen wie der Lösung der Boltzmanngleichung oft Vorteile.

 

Partikelverfahren

Die Entwicklung von Rauschunterdrückungsverfahren für stochastische Partikelmethoden ist für langsame bzw. Low-Mach-Strömungen von großer Bedeutung.

 

Discrete-Velocity-Methoden

Beim Eintritt in die Atmosphäre sind Raumfahrzeuge einer Strömung mit hoher Enthalpie ausgesetzt, die zur Ionisation und Anregung der inneren Freiheitsgrade von Atomen und Molekülen führt. Die daraus resultierende Strahlung beeinflusst den Wärmestrom an der Oberfläche erheblich. Das Strahlungsmodul von PICLas verwendet eine Monte-Carlo-Methode, um die Energieübertragung in komplexen Geometrien genau zu berechnen und präzise Wärmestromvorhersagen zu gewährleisten.

 

Strahlungslöser und Strahlungstransport

Hitzeschutzschilde sind unerlässlich für den atmosphärischen Raumfahrzeugeintritt. Die Materialwahl ist entscheidend für Extrembedingungen und Gewichtsminimierung. Heterogene Prozesse zwischen Gas und Oberfläche beeinflussen dabei den Wärmefluss. Ein katalytisches Reaktionsmodell in PICLas schätzt diesen Einfluss ab, da Experimente kostenintensiv sind.

 

Oberflächenchemie

Die sehr niedrige Erdumlaufbahn (Very Low Earth Orbit, VLEO), typischerweise definiert als Höhen unter 450 km, bietet einzigartige Herausforderungen und Möglichkeiten für Satellitenmissionen. Einer der kritischen Aspekte des Betriebs in VLEO ist das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Gas und Oberfläche, die sich erheblich auf die Konstruktion und den Betrieb von Satelliten auswirken.

 

Gas-Oberflächen-Interaktionen im VLEO

Partikelbasierte Mehrphasenmethoden bieten eine effiziente Möglichkeit, Nichtgleichgewichtseffekte in Mehrphasenströmungen darzustellen.

 

Partikelbasierte Mehrphasenmethoden

Plasmaeffekte spielen bei hochenthalpen Strömungen eine große Rolle. Mit der Particle-In-Cell-Methode sollen deshalb Nicht-Gleichgewichtseffekte in Plasmen simuliert werden.

 

Particle-In-Cell

Plasma Kinetic Code PICLas

Alle Modelle, die innerhalb der Numerikgruppe entwickelt werden, sind auf GitHub im Open Source-Code PICLas verfügbar. Zusätzlich ist eine ausführliche Dokumentation auf piclas.readthedocs.io zu finden.

Lehre

Simulation verdünnter Gase und Plasmen
Masterstudiengang Luft- und Raumfahrttechnik

Vertiefungsrichtungen:

  • B (Experimentelle und numerische Simulationsmethoden in der LRT)
  • H (Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung)

Themen:

  • Oberflächenkatalyse: "time of flight"-Analysen
  • Methoden Vergleich (ECSIM, HDG, FEM) mit Ionen-Triebwerk
  • Modellierung von Spurenspezies für chemische Reaktionen
  • Bestimmung von Plasmaparametern durch maschinelles Lernen

Wir suchen:

  • Bachelor- oder Masterstudent in MINT-Fächern,
  • die Interesse an der Code-Entwicklung haben,
  • die in der Lage sind, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten,
  • und optional: Erfahrung mit Fortran besitzen

Kontakt: Simone Lauterbach, M. Sc.
Mail: lauterbachs@irs.uni-stuttgart.de

Kontakt

Zum Seitenanfang